Begriffsdefinitionen zum Thema Inklusion und demografischer Entwicklung von Ulrike Jocham


Die sogenannte "Barrierefreiheit"

Beim "barrierefreien" Bauen wird leider entgegen den Zielen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (BRK) der Fokus viel zu häufig noch auf die Defizite gelegt. Die BRK fordert hingegen ein Universal Design ohne diskriminierende Erscheinungsbilder und Sondergestaltungen sowie größtmögliche Selbstbestimmung und Autonomie für alle Menschen. Eine entsprechende Gestaltung von Räumen, die Fähigkeiten von Menschen stärkt und Potentiale entfalten lässt, ist aus meiner Sicht gefragt: eine empowernde und demografiegerechte Architektur, die niemanden ohne Grund ausschließt, sondern Inklusion Realität werden lässt. Beim Thema "barrierefreie" Wohnungen in den verschiedenen Landesbauordnungen (LBOs) hier in Deutschland kann ich mein Anliegen verdeutlichen. Die LBOs fordern nur einen ganz geringen Teil an "barrierefreien" Sonderwohnungen, die den veränderten Bedarf aufgrund des demografischen Wandels meiner Meinung nach nie abdecken können. Selbst Immobilienverbände befürchten eine immense "graue Wohnungsnot" für ältere Menschen. Der aktuelle Wohnungsbestand bietet von den insgesamt rund 40 Millionen Wohneinheiten schon jetzt selbst im Neubau kaum demografiegerechte und tatsächlich schwellenfreie Wohnungen (ohne technisch überholte Schwellen bei Duschen und Türen). Deshalb müssen die aus meiner Sicht sehr wenigen neu hinzukommenden Neubauwohnungen dringend den für Inklusion unabdingbaren Mindeststandard der Schwellenfreiheit vorweisen. In den letzten sieben Jahren sind laut statistischem Bundesamt lediglich rund 187.000 Wohnungen pro Jahr neu gebaut worden. Aufgrund der Kultur des Beharrens an althergebrachten Lösungen innerhalb der Bau- und Immobilienbranche kann davon ausgegangen werden, dass selbst in den wenigen neu hingekommenen Wohnungen auch diese den inklusiven und demografiegerechten Mindeststandard erfüllen und zahlreiche technisch überholte Schwellen aufweisen. Für ausreichend sichere Wohnungen benötigen wir allerdings schon heute für rund 23 Millionen besonders sturzgefährdete Bürger schwellenfreie Wohnungen. Stürzen kann generell allerdings jeder Mensch und Schwellen entsprechen ganz grundsätzlich nicht den Anforderungen an ein ergonomisches Design! Mit einer aktuell vorhandenen deutschen Baugesetzgebung, die bestenfalls nur in Gebäuden ab zwei Wohnungen und dann lediglich nur in einem Geschoss eine „barrierefreie“ Gestaltung vorschreibt, kann diese Kluft zwischen schwellenfreiem Wohnungsbedarf und praktiziertem Neubau meiner Meinung nach definitiv nicht schließen. Ich denke, wir benötigen eine bundesweite Baugesetzgebung, die nicht nur einen extrem kleinen Teil an „barrierefreien Sonderwohnungen“, sondern eine konsequent schwellenfreie, benutzerfreundliche, demografiegerechte und inklusive Gestaltung von allen Neubauwohnungen mit den bewährten Mindeststandards vorschreibt. Eine Zielgruppenübergreifende Benutzerfreundlichkeit und ein gutes Design in der gesamten Architektur, egal ob im Neubau oder bei Sanierungsmaßnahmen im Bestand muss zum Standard werden!

Weitere Definitionen folgen!

© Ulrike Jocham